Bildung, wir haben ein Problem

Früher oder später mussten wir an jenen evolutionären Zeitpunkt der Technikgeschichte gelangen, an dem Systeme der „Künstlichen Intelligenz“ greifbarer werden. Dass wir spätestens jetzt diesen Zeitpunkt erreicht haben, bemerken derzeit vor allem jene Menschen, die ChatGPT oder einen Bilder-Generator wie Dall-E oder StableDiffusion nutzen. Oder die davon lesen oder hören.

Der Buzz um ChatGPT ist dabei zunächst einmal eines: eine gute Verkaufsshow. Microsoft investiert Milliarden, um die Technologie im Wettbewerb der großen Tech-Konzerne an sich zu binden. Demnächst könnte es also eine bessere Bing-Suchmaschine geben. Und vielleicht hofft bereits der eine oder andere, dass Outlook schon bald eigenständig E-Mails vorformuliert und verschickt. Das wäre dann auch der Moment, in dem ich erstmals auf Outlook-Nutzer:innen neidisch wäre.

Bei alledem darf man nicht vergessen, dass wir es bei ChatGPT mit einem proprietären System zu tun haben. Und hinter diesem stehen mächtige Konzerninteressen, die unsere Daten kommerziell verwerten wollen. Und die das Ziel haben, immer mächtiger zu werden. Gemeinwohlorientierte Alternativen, die offen und datenschutzfreundlich betrieben werden, sind daher umso wichtiger und sollten mehr gefördert werden.

Natürlich birgt ChatGPT – wie alle anderen Technologien – etliche Risiken. So fantasiert die KI mitunter vermeintliche Fakten herbei. Das tun allerdings auch zahlreiche Menschen im Netz. Man denke etwa an die vielen Verschwörungsgläubigen, die so etwas ohne Hilfe von Technologie prima hinbekommen. Und meistens sind sie dabei sogar noch kreativer als jede aktuelle KI.

Bildung, wir haben ein Problem!

Große Aufregung erzeugen die neuen KI-Anwendungen im Bildungssektor. Auch mir schoss der Gedanke durch den Kopf, noch rasch ein Studium zu absolvieren. Dank ChatGPT ist dies nun wohl einfacher denn je zuvor. Jedenfalls solange sich nichts ändert.

Und in der Tat zeigen sich Professor:innen verschiedener Fachrichtungen überaus besorgt, dass sie die Werke von ChatGPT nicht länger von jenen unterscheiden können, die ihre Studierenden aus eigener Leistung erstellen. Und auch Lehrende an den Schulen verzweifeln bereits daran, dass die neuen KI-Anwendungen die Schüler:innen vermeintlich noch fauler werden lässt. Sie müssten ihre Hausaufgaben – so die wachsende Sorge – künftig nicht einmal mehr von der Wikipedia abschreiben. Und das ließ sich bislang noch relativ leicht herausfinden. Sofern man es denn überhaupt herausfinden wollte.

Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit in der Mittelstufe. Damals konnte ich den Erdkunde-Lehrer stets mit meinen Präsentationen beeindrucken, die ich daheim angeblich mühsam in Handarbeit erstellt hatte. Tatsächlich hatte ich sie nur mit Hilfe eines Computerprogramms namens „PC Globe“ ausgedruckt. Die meisten meiner Lehrer:innen besaßen damals noch keinen Computer. So neu und unbekannt sind die Folgen durch ChatGPT also gar nicht.

Trotzdem sperren erste Schulen auf ihren Rechnern den Zugang zu ChatGPT. Das ist allerdings kaum mehr als eine hilflose Geste. Denn Schüler:innen besitzen in der Regel ein eigenes Smartphone. Die Sperrung dürfte sie daher eher noch motivieren, die KI auszutesten. Eine bessere Werbebotschaft für ChatGPT können Schulen daher wohl kaum senden. Andere Lehrerende finden die Herausforderung hingegen hochspannend, wie etwa Bob Blume, der als @Netzlehrer bereits das Ende des Lernens, wie wir es kennen, verkündet.

Wir brauchen KI-Kompetenzen

Tatsächlich stehen unsere Bildungsinstitutionen vor einer gewaltigen Herausforderung. Denn während Digitalkompetenzen an unseren Schulen noch immer vergleichsweise rar sind, wartet mit ChatGPT bereits die nächste Herausforderung vor dem Schul- oder Uni-Tor. Nun wird es unter anderem darum gehen, seit Jahren bewährte Aufgabenstellungen so abzuändern, dass sich diese nicht innerhalb weniger Sekunden mit Hilfe eines Text-Generators beantworten lassen. Allerdings dürfte einige Zeit verstreichen, bevor diese Wende vollzogen ist. Man darf gespannt sein, ob heutige Grundschüler:innen dies im Laufe ihrer Schullaufbahn noch erleben werden.

Eigentlich müssten wir die Curricula so rasch wie möglich reformieren, damit die Schule ebenjene Fähigkeiten vermittelt, die junge Menschen so dringend benötigen. Dazu zählen ein noch intensiveres Hinterfragen vermeintlicher Gewissheiten als bisher, eine noch sorgfältigere Quellenarbeit sowie die Fähigkeit, die Ausgaben einer Text-KI kritisch zu prüfen und einordnen zu können. Lehrende wie Schüler:innen kommen dabei nicht umhin, sich auch mit den Grundlagen und Untiefen maschinellen Lernens vertraut zu machen. Und das ist längst nicht alles, wie die Initiative Critical AI anschaulich auflistet. Aber wer trainiert die Lehrer:innen und wollen die das überhaupt lernen?

Auf dem Weg in die redaktionelle Gesellschaft

Der übergroße Teil der Bevölkerung, der seine Schulbildung bereits abgeschlossen hat, steht vor einer ähnlich großen Herausforderung. Denn wir alle werden Teil einer redaktionellen Gesellschaft werden müssen. Dafür müssen wir alle uns mehr und mehr journalistische Fähigkeiten der Text- und Quellenkritik aneignen. Und wir alle müssen lernen, vieles zu hinterfragen – ohne dabei ins Kaninchenloch abzurutschen.

Das bedeutet auch eine kulturelle Wende. Bislang galt Vermittlung von Digitalkompetenzen vielen weniger als Muss, sondern vielmehr als ein Nice to have. So wichtig und richtig viele das Thema zwar finden, ist es letztlich eine Frage der Eigeninitiative – also von Zeit, Motivation und Kompetenz –, sich umfassende Fähigkeiten im digitalen Bereich anzueignen. Man muss sich dieses leisten können und wollen.

Auch das muss sich spätestens jetzt ändern. So sollte der Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Systems künftig darin bestehen, im Sinne der redaktionellen Gesellschaft ebenfalls mehr Digitalkompetenzen zu vermitteln. Ich gehöre einer Generation an, die ihre Verkehrserziehung in Teilen über die Fernsehsendung „Der 7. Sinn“ erhielt. Warum werden die Kanäle des linearen Fernsehens heute nicht dazu genutzt, um uns alle – gerade aber auch die älteren Generationen – mit Blick auf ChatGPT und Folgen solcher KI-Werkzeuge weiterzubilden? Und natürlich dazu, auch die vielen anderen notwendigen Digitalkompetenzen zu vermitteln?

Die kommenden Jahre werden wir bei Text- und Bild-Generatoren ein ähnliches Katz-und-Maus-Spiel erleben, wie wir es bereits längerem rund um das Thema Deep Fakes beobachten: Die Technik wird weiterentwickelt, damit ausgefeilter und schwerer zu durchschauen. Im Gegenzug werden neue Möglichkeiten entstehen, mit KI generierte Daten aufzuspüren und entsprechend zu markieren – zumindest so lange, bis die KI-Werkzeuge einen weiteren Entwicklungssprung machen.

Die Technik, die ChatGPT ermöglicht, ist gekommen, um zu bleiben. Und die mächtigen Werkzeuge werden noch besser werden. Und in den falschen Händen können sie erheblichen Schaden anrichten. Auch deshalb müssen wir lernen, mit dieser neuen Technologie umzugehen – indem wir uns alle weiterbilden.