Threads ist die Hoffnung der Stunde – aber der falsche Weg

Es ist schon eine verrückte Zeit. Ausgerechnet Mark Zuckerberg gilt vielen momentan als Hoffnungsträger, um aus der Abhängigkeit von Elon Musk zu entkommen. Dieser hat Twitter im letzten Jahr und vor allem in den vergangenen Wochen so massiv verändert, dass der Wechselwille immer größer wird.

Am Wochenende wurde eine „temporäre“ Lesebeschränkung eingeführt, seit Sonntag ist das von vielen geliebte Tweetdeck als alternative Timeline-Ansicht kaputt, das mich auch das vergangene Jahrzehnt begleitet hat. Die Gelegenheit für Alternativen ist so günstig wie noch nie.

Die große Hoffnung auf eine Alternative

Teile von Twitter sind bereits vor einem Jahr ins Fediverse geflüchtet und bevölkern jetzt, mal mehr und mal weniger motiviert und erfreut, verschiedene Mastodon-Instanzen. Bei mir trifft das auf rund einem Viertel meiner Twitter-Timeline zu. Aber das sind leider bisher vor allem Subkulturen, nicht nur bei Breaking News Situationen in den vergangenen Monaten zeigte sich, dass das Fediverse zu Twitter noch keine Alternative darstellte.

Das ist von vielen auch nicht gewollt, ich bin da als Journalist wohl ein Sonderfall und nutze öffentliche Plattformen vor allem zur Recherche, Information und als Knotenpunkt – aber kaum zur interpersonellen Kommunikation. Das mache ich wiederum nur auf privaten Plattformen und nicht in der Öffentlichkeit.

Andere hoffen auf Alternativen wie das von Twitter-Mitgründer Jack Dohersy finanzierte Bluesky, wo aufgrund von einer Invite-Only Begrenzung aber vor allem eine San Francisco Tech-Crowd abhängt und eine kritische Masse fern ist.

Und die Plattform konnte noch nicht beweisen, dass sie bei größerer Nutzer:innenzahl auch skalierbares Community-Management mit all seiner Verantwortung machen kann, woran früher schon Facebook und Twitter teilweise grandios gescheitert sind.

Bald kommt Threads – vielleicht

Seit Monaten kündigt sich aber ein Klon aus dem Hause Meta an. „Threads“ erinnert namentlich an frühere erfolglose Experimente, soll aber jetzt auf Instagram aufsetzen und dasselbe nur mit Text sein. Das deuten Screenshots an. Meta nutzt wahrscheinlich Instagram, weil die Marke immer noch frischer wirkt als Facebook und vor allem nicht so toxisch ist.

Bei früheren Skandalen von Facebook, und da gibt es sehr viele, sind Massen immer zu Instagram rübergezogen – auch weil ein Teil der Nutzer:innen nicht verstand, dass beides zu einem Unternehmen gehört. Das wiederum von nur einer Person kontrolliert wird: Mark Zuckerberg.

Threads soll am morgigen Donnerstag erscheinen, aber erst mal nur in den USA. Das ist ein gängiger Weg der Produkteinführung, schon frühere Experimente wurden erst auf dem US-Markt getestet, bevor sie, wenn überhaupt, globaler ausgerollt wurden. Meta hat auch gestern erst vor dem Europäischen Gerichtshof eine wichtige Entscheidung verloren.

Und muss sich damit auseinandersetzen, dass man in der Europäischen Union nicht einfach so Daten über verschiedene Plattformen zum Zwecke der Profilbildung und personalisierter Werbung zusammenführen und dabei die Kund:innen intransparent über den Tisch ziehen darf.

Eine gute und wichtige Entscheidung. Ob und wann Threads daher bei uns verfügbar ist, wird sich noch zeigen. Aber Meta würde bei einer erfolgreichen Markteinführung mit Facebook, Instagram, Whatsapp und dann Threads noch mehr den globalen Markt für soziale Medien dominieren als bisher.

Marktvorteil für Meta

Meta hat hier einen großen Marktvorteil: Indem Threads auf Instagram aufsetzt, haben Nutzer:innen die Möglichkeit, ihren Sozialen Graphen mitzunehmen. Das heißt, sie können ihre bestehenden Instagram-Kontakte auch in ihr Threads-Profil übernehmen. Damit müssen bestehende Nutzer:innen nicht mehr aufwändig ihren sozialen Graphen wie überall anders neu aufbauen.

Dadurch hat man auch sofort zahlreiche Prominente dabei, die ebenfalls auf Twitter mit einer großen Followerschaft aktiv waren und ebenfalls die Schnauze voll von Elon Musk haben. Praktischerweise können die sofort auf ihre großen Instagram-Followerscharen aufsetzen.

Threads soll auch Schnittstellen ins Fediverse bieten. Wie das in der Praxis aussieht, und ob ehrenamtliche Adminstrator:innen von Mastodon-Instanzen darauf Lust haben und diese Schnittstellen nutzen, wird sich dann noch zeigen. Allerdings ist auch das ein geschickter Zug gegenüber Twitter, das sich immer mehr verschließt und abschottet.

Alles Pest und Cholera

Aus Datenschutzsicht sind Threads, Instagram und Twitter übrigens Pest und Cholera. Alle großen Plattformen arbeiten nach den Prinzipien des Überwachungskapitalismus und speichern soviele Daten wie möglich mit dem eigentlichen Ziel, mehr Aufmerksamkeit von uns zu binden, um noch mehr Datenpunkt ezu speichern um daraus Profile über uns zu bilden und uns personalisierte Werbung anzudrehen.

Threads würde da überhaupt nichts ändern. Aber das hat viele auch jetzt schon nicht daran gehindert, Twitter zu nutzen, mich inklusive. Ich nutze ja auch Instagram, wenn auch selten, denn die Plattformen bieten uns ja was.

Eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich

Meine Hoffnung liegt ja immer noch im dezentralen Fediverse, aber viele von uns haben andere Werte und bevorzugen zentrale Plattformen von Unternehmen, weil man da auch weiß, was man hat. Oder auch nicht, wie gerade Elon Musk mit Twitter zeigt und der Wechselwille immer größer wird.

Ob das Fediverse größer werden kann, wird sich noch zeigen müssen. Dort gibt es auch verschiedene Lager. Die einen wollen eine möglichst inklusive gemeinwohlorientierte Infrastrukutur für eine globale Öffentlichkeit schaffen. Andere wollen auch nur ihren eigenen Garten hegen und pflegen. Das ist vollkommen ok, gerade bei ehrenamtlicher Arbeit.

Aber leider steht das dem Ziel im Weg, eine globale Öffentlichkeit zu schaffen, wie sie Twitter mal war. Und die ich zumindest gerne hätte. Gemeinwohlorientiert und datenschutzfreundlicher als von Mark Zuckerberg betrieben und kontrolliert.