Schön, dass es ihn zumindest dieses Jahr wieder gibt. 2008 hatte ich mit netzpolitik.org meine erste Nominierung beim Grimme Online Award, seinerzeit in der Kategorie Information. Ich hatte bis dahin schon einige Auszeichnungen bekommen, aber der GOA war etwas besonderes. Vor allem war der Name etwas, womit meine Eltern etwas anfangen konnten. Die fragten sich bis dahin immer noch, was ich eigentlich weit weg in Berlin beruflich mache. Das Internet, Netzöffentlichkeiten und Bloggen kannten sie nur aus dem Fernsehen und richtig was darunter vorstellen konnten sie sich auch nichts.
Dann kam die Nominierung für den Grimme Online Award und mein Leben wurde für sie etwas greifbarer: Der GOA war zwar nur der kleine Ableger des Grimme-Fernsehpreises, wo gefühlt immer Iris Berben dabei war. Aber es war die renommierteste Auszeichnung für Netz-Projekte im deutschsprachigen Raum. Ich war stolz darauf und freute mich, auch wenn es für den Preis in dem Jahr nicht reichte. Denn endlich machten sich meine Eltern keine Sorgen mehr, ob aus mir nochmal was werden könnte. Irgendwas wie Iris Berben!
Der Preis kam dann sechs Jahre später doch noch mit dem Grimme Online Award 2014 in der Kategorie „Spezial“ „für Initiative und Gesamtverantwortung“ von netzpolitik.org. Seinerzeit habe ich leider die Preisverleihung nur im Stream schauen können, weil diese mit einem schon lange geplanten Urlaub kollidierte.
Etwas überrascht war ich dann von der gestreamten Laudatio. Eine Schauspielerin hielt diese und erklärte mittendrin: „Markus Beckedahl hat mein Leben verändert“. Ich war ihr nie begegnet und wusste nicht, wie sie darauf kam und hatte das Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt.
Hinterher konnte ich das etwas nachvollziehen: Sie hatte mich mit einem Regisseur verwechselt, mit dem sie einen Film gemacht hatte. Wenn man den Namen des Filmes eingab, kam man über Google an erster Stelle auf netzpolitik.org, weil ich dort den Film verlinkt und beschrieben hatte. Unter dem Blogpost stand mein Name. Mehr hatte ich nicht getan, es reichte aber offensichtlich für diesen Eindruck und ich war froh, das nicht live mitbekommen zu haben. Es hätte mich noch mehr irritiert.
Der Grimme Online Award könnte Sparmaßnahmen beim Grimme Institut zum Opfer fallen. Leider leben wir immer noch in Zeiten, wo zuerst bei Digitalprojekten gespart wird. Zumindest 2024 soll es nochmal einen geben und die Nominierungsfrist endet am 31.7.2024.
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Danke netzpolitik.org
Vor über 20 Jahren habe ich netzpolitik.org gegründet, weil ich leidenschaftlich daran glaube, dass eine bessere digitale Welt möglich ist und wir dafür kämpfen müssen.
Als ich 2003 startete, befanden wir uns in den ersten Anfängen der Blogosphäre. Wir vernetzten uns über Verlinkungen. Die großen Plattformen, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht. Ich kam aus dem Aktivismus und sah meine Rolle darin, Knotenpunkte in einer neuen vernetzten Öffentlichkeit zu schaffen, über diese Informationen zu teilen, und so mehr Menschen für den Erhalt und Ausbau von digitalen Grundrechten zu mobilisieren und zu demokratischem Engagement zu bewegen.
Diese Zeit bot große Möglichkeiten für alle, die wie ich mit einer Faszination für Medien aufgewachsen waren: Wir konnten auf einmal publizieren ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. Wir konnten uns das Wissen dazu selbst erarbeiten – mit der richtigen Motivation und einem Verständnis für Technik.
Die Werte der Open-Source-Welt verschafften mir eine andere journalistische Perspektive darauf, was in unserem gesellschaftlichen Umgang (und Diskurs) mit Technik möglich ist: eine offene, vernetzte und kollaborative Netzpolitik – sowohl inhaltlich als auch in der praktischen Anwendung. Diese Werte haben auch unsere Arbeit hier konsequent geprägt: So war es mir zum Beispiel später wichtig, dass wir so transparent wie möglich bei der Finanzierung sind.
Die Entstehung eines neuen Politikfelder beobachten
Ich hatte das Privileg und das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und dabei die Entwicklung eines neuen Politikfeldes und die Entwicklungen unzähliger Debatten hautnah beobachten und mitprägen zu können.
Bereits Ende der 90er gab es diverse Überwachungsdebatten, die digitale Verwaltung wurde schon versprochen und bald sollte es Breitbandinternet für alle geben. Seitdem komme ich mir häufig wie bei “Und täglich grüßt das Murmeltier” vor. Von Glasfaser träume ich immer noch und die digitale Verwaltung kenne ich eigentlich nur aus der Terminvergabe in Berlin.
Ich muss manchmal schmunzeln wenn ich daran denke, dass zu den Anfängen von Netzpolitik für das Internet mitverantwortliche Spitzenpolitiker:innen nicht wussten, was ein Browser ist; dachten, das Internet funktioniere so wie eine Telefonanlage und sich auch gerne vor laufenden Kameras darüber freuten, dass ihre Assistent:innen das Internet für sie bedienen (und ausdrucken) konnten.
Wir Netzbewohner:innen waren die “Internet-Freaks”, die man belächelte und mit denen man lange nichts zu tun haben wollte. Viele hofften viel zu lange, das Netz werde als “Trend” schnell wieder verschwinden. Die meisten haben dann doch noch den Aufbruch dorthin geschafft.
Debatten kommen und gehen – viele bleiben (leider)
Viele Debatten haben sich seitdem verändert oder sind verschwunden. Wer erinnert sich noch an “Raubkopierer sind Verbrecher” und irrsinnige Forderungen, wie die danach, Menschen das Internet für Filesharing wegzunehmen? Legale funktionierende Alternativen, wie wir sie heute mit Spotify, Netflix und Co. haben, gab es damals noch nicht. Computerspiele waren früher “die Killerspiele” und gelten mittlerweile als Kulturgut. Die Netzneutralität haben wir in andauernden Kämpfen schützen können, müssen aber immer noch wachsam sein.
Andere Debatten sind immer geblieben oder tauchen wie Zombies regelmäßig wieder auf. Digitale Vernetzung und die Möglichkeit von Datensammlungen haben schon immer die Phantasie aller Innenpolitiker:innen angeregt. Was technisch möglich ist, weckt Begehrlichkeiten der Überwachung. Vor allem, wenn es kaum Debatten darum gibt und große Teile der Gesellschaft die Auswirkungen technisch und rechtlich nicht verstehen. Ich werde mich immer dafür einsetzen, einen Ausbau von Überwachung konsequent zu bekämpfen, dort, wo sie rote Linien überschreitet und unsere Grundrechte und damit unsere Freiheit gefährdet.
Geändert hat sich vor allem die Infrastruktur. Die Träume von Dezentralität, Offenheit, Demokratie und Freiheit sind der Realität der Plattformökonomie mit ihren Lock-In-Effekten und Skaleneffekten zum Opfer gefallen. Was mir häufig den Schlaf raubt, sind Fragestellungen, wie wir trotz dieser Dominanz weniger Unternehmen, die unsere Kommunikationsinfrastrukturen kontrollieren, gemeinwohlorientierte Alternativen schaffen und ausbauen können. Welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig und wie kommen wir dahin?
Letztendlich geht es immer um Machtfragen und darum, wie wir unter veränderten Rahmenbedingungen Demokratie erhalten und ausbauen können.
In den letzten 20 Jahren meines Lebens war netzpolitik.org eng mit meiner Identität verbunden. Nach derzeitigem Stand habe ich nun mindestens weitere 20 Jahre bis zur Rente. Ich finde, dies ist ein guter Zeitpunkt für mich, etwas Neues zu erleben und zu gestalten – und die nächste Netzpolitik-Generation ihre eigenen Impulse setzen zu lassen.
Was kommt jetzt?
Ich möchte zunächst Raum für Experimente und neue Kollaborationen schaffen, denn ich bin überzeugt, dass wir im Kampf für eine bessere digitale Welt jetzt ganz neue Ansätze und Partnerschaften brauchen. Welche Allianzen sollten wir als digitale Zivilgesellschaft jetzt schmieden, welche Brücken in die Gesellschaft jetzt bauen oder erweitern, damit wir gesellschaftliche Mehrheiten und die richtigen rechtlichen und medialen Rahmenbedingungen für eine lebenswerte digitale Welt schaffen können? Wie können wir unsere Anliegen noch besser kommunizieren, um mehr Menschen zu erreichen? Das werden meine Leitfragen sein.
Einen Teil meiner Zeit werde ich weiterhin für die re:publica einsetzen und sie als einen zentralen Ort für die Debatte über die digitale Gesellschaft ausbauen. Für die nächste Ausgabe Ende Mai kuratieren wir unter dem Motto “Who Cares” wieder ein riesiges Programm mit vielfältigen Fragestellungen und Perspektiven auf den Bühnen der Station Berlin.
Weil mich umtreibt, wie sich unser Journalismus weiterentwickeln und verlorenes Vertrauen in Zeiten zunehmender Polarisierung zurückgewinnen kann, entwickle und kuratiere ich zusammen mit dem Bonn Institut für konstruktiven Journalismus seit dem vergangenen Jahr das “b future festival für Journalismus und konstruktiven Dialog ” in meiner alten Heimatstadt. Anfang Oktober findet die zweite Ausgabe statt und bringt eine große Community an Menschen zusammen, die Journalismus neu denken und praktizieren wollen.
Um an die Leichtigkeit und Freiheit des Bloggens und Kommentierens von früher kreativ anschließen zu können, werde ich einen Newsletter starten, für den Ihr Euch hier eintragen könnt. Und ich habe Ideen für verschiedene Podcast-Formate, zu denen ich bisher nicht kam und die ich endlich umsetzen will.
Meine Erfahrungen und mein Wissen werde ich weiterhin in Form von Vorträgen, Beratung und Workshops weitergeben. Aber vor allem möchte ich Neues wagen und freue mich auf spannende Angebote und Ideen.
Ein großes Dankeschön!
Beim Einloggen in unser Redaktionssystem sehe ich jetzt nur noch meine 11.000 Texte, ich kann sie aber nicht mehr editieren. Nach über 20 Jahren ist mein Adminstatus weg. So ist das, wenn man geht. Das hier ist erstmal mein letzter Text auf netzpolitik.org.
Wenn ich jetzt auf meinen Screen sehe, fühle ich: einen Hauch Wehmut, denn netzpolitik.org war ein Traum, eine Gemeinschaft und ein riesen Spaß. All das wird mir fehlen. Ich fühle auch: Stolz – auf all das, was wir gemeinsam errungen und geschaffen haben. Und Aufbruchsstimmung: netzpolitik.org hat mich mutiger und stärker gemacht. Diesen Mut trage ich dankbar in meine neuen Projekte.
Deshalb möchte ich vor allem DANKE sagen: Ich konnte all dies auch nur machen, weil ich von vielen Menschen lernen konnte, ihr mich unterstützt und wir in Zusammenarbeit Berge versetzt haben. Manche von euch haben mitgebloggt und wurden später fester Teil der Redaktion. Andere haben uns als Praktikant:innen unendlich viel Arbeit abgenommen und sind in der Auseinandersetzung mit komplexen Themen als Journalist:innen beeindruckend gewachsen.
Meine Teammitglieder:innen im Hintergrund mit den wichtigen Jobs der IT-Administrierung und Buchhaltung/Bürokratie haben mir so häufig den Rücken freigehalten. So viele von euch haben uns mit Reichweite, Ideen oder Geld unterstützt. Ohne viele Hinweisgeber:innen hätten wir nicht so viel berichten können und Jurist:innen haben uns bei vielen kleinen und größeren Konflikten beraten. Und unter anderem dafür gesorgt, dass André und ich nicht wegen Landesverrat im Gefängnis sitzen. Ohne euch wäre netzpolitik.org nicht das, was es heute ist. Ich danke euch von Herzen.
Ich bin nicht weg. Ich bin nur woanders.
Eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich. Wir müssen dafür kämpfen.
Ein persönlicher Jahresrückblick
Vor gut einem Jahr kaufte Elon Musk Twitter. Was kann schon schiefgehen, wenn der reichste Mensch der Welt die bedeutendste Meinungs- und Kommunikationsplattform übernimmt? Selbstverständlich wurden alle Befürchtungen bestätigt und es kam sogar noch schlimmer: Musk machte die Plattform innerhalb kurzer Zeit für viele Menschen unbenutzbar und verschob den Diskursraum massiv nach Rechtsaußen. Eine einst globale Öffentlichkeit ging verloren.
Während sich Mastodon und das Fediverse daraufhin kurzzeitig großer Beliebtheit erfreuten, gab es unter ehemaligen Twitter-Powernutzer:innen trotzdem das Bedürfnis nach dem „Twitter-Erlebnis“ mit ihrer Kommunikationskultur. Viele fanden diese im Laufe des Jahres auf der neuen Plattform Bluesky, die aus dem früheren Twitter als Experimentierplattform ausgegründet worden war.
Ob Bluesky langfristig interessant bleiben wird, muss sich noch zeigen. Viele Features fehlen noch und wer macht da überhaupt Content-Moderation? Gerade hat Meta in der Europäischen Union den Microblogging-Dienst Threads gelauncht, der durch seine Nähe zu Instagram deutlich massenkompatibler sein dürfte, Schnittstellen ins Fediverse verspricht und derzeit auch testet.
Auch das war 2023: Wir leben in der merkwürdigen Gegenwart, wo viele Menschen ein soziales Netzwerk von Mark Zuckerberg als Hoffnung sehen, weil alles besser ist als von Elon Musk. Die grundlegende Frage lautet aber immer noch: Wie schaffen wir es, gemeinwohlorientierte Infrastrukturen für die digitale Öffentlichkeit nachhaltig aufzubauen und zu finanzieren, die nicht nach überwachungskapitalistischen Mechanismen mit allen bekannten Nebenwirkungen funktionieren.
Die Zukunft könnte offener und dezentraler werden als bisher, auch wenn nicht alle davon begeistert sind. Bis dahin stehen viele von uns vor dem Problem, ständig überlegen zu müssen, ob sie einen interessanten Link auf bis zu fünf Plattformen parallel teilen. Früher war es schon etwas besser.
Das Warten auf die Plattformregulierung
Für die Plattformregulierung war es ein Jahr des Übergangs und der Brieffreundschaften. Die EU beschloss im vergangenen Jahr den Digital Services Act und den Digital Markets Act. Sie werden erst im nächsten Jahr durchgesetzt. In Deutschland wird immer noch um die Zuständigkeiten gerungen. Die Very Large Online Platforms (VLOPS im DSA) und Gatekeeper (im DMA) stehen bereits fest. Auch wenn sich einige Unternehmen nicht als solche sehen und gerichtlich gegen die Einstufung vorgehen.
Unklar ist weiterhin, ob die Durchsetzung der europäischen Regelwerke vor allem gegenüber den intransparenten großen Plattformen funktionieren und wie das Recht auf Datenzugang zur besseren gesellschaftlichen Kontrolle für wen wie genau umgesetzt wird. Die kommenden Jahre bleiben hier spannend: Werden die privatisierten Öffentlichkeiten auf rechtsstaatlichem Wege demokratisiert, sind die Regeln eher Papiertiger oder werden sie sogar für mehr Kontrolle missbraucht? Alles ist noch möglich.
Rechtsstaat vor Überwachung schützen
2023 schafft es die AfD in Umfragen bundesweit auf bis zu 23 Prozent – und das ist nur ein Symptom von vielen, das den Rechtsruck unseres politischen Systems belegt. Wir hatten früher immer davor gewarnt, dass die vielen Überwachungsgesetze irgendwann in der Hand von Rechtsextremen auch gegen Rechtsstaat und Demokratie eingesetzt werden könnten.
Aus der Theorie könnte schon bald Praxis werden und die drohenden Szenarien sind erschreckend. Die viel beschworene Brandmauer erweist sich als eine Wand aus Stroh. Befördert wird dieser Rechtsruck durch irrationale Kulturkämpfe, die die Medien befördern, und in denen Gefühlsfragen wie das Gendern wichtiger erscheinen als Fragen der Daseinsvorsorge.
Es ist kein Funfact: Rund vier von fünf Leser:innenbriefe, die ich in den vergangenen Jahren bekommen habe, drehten sich um die Forderung, dass ich gefälligst mit dem Gendern aufhören soll. Natürlich waren sie fast immer von Männern geschrieben.
Wenigstens wurde der Chatkontrolle durch das Engagement vieler Menschen so viele Steine in den Weg gelegt, dass die Durchleuchtung unserer verschlüsselten Kommunikation erst einmal nicht auf EU-Ebene beschlossen werden dürfte.
Und auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich vielen höchstrichterlichen Entscheidungen angeschlossen und in diesem Jahr erneut die Vorratsdatenspeicherung für illegal erklärt. Unsere Bundesinnenministerin möchte sie trotzdem zurückhaben. Was machen eigentlich die im Koalitionsvertrag versprochenen Alternativen Quick Freeze und Login-Falle?
KI schlägt Blockchain
2023 war auch das Jahr, in dem der Großteil der Gesellschaft realisierte, dass automatische Entscheidungssysteme schon längst unter uns sind. „Künstliche Intelligenz“ wurde zum Synonym für „Irgendwas mit Einsen und Nullen“ und erlebte einen Hype, der die Blockchain an den Rand drängte. Es ist ja nicht alles schlecht.
Es wurde allerdings schwer über die Auswirkungen zu diskutieren, weil es sowohl um automatisierte Entscheidungssysteme als auch um generative KI-Systeme ging, was dann auch die Debatte über den AI Act verkomplizierte. Die Verordnung wurde im Trilog der Europäischen Union soeben zu Ende verhandelt. Aber außer wenigen Eckpfeilern, wie dass biometrische Videoüberwachung im öffentlichen Raum zukünftig erlaubt sein soll, wissen wir noch herzlich wenig über den finalen Text.
Wie immer heißt es auch hier: Der Teufel steckt im (Gesetzes-)Detail und wird sich erst in den kommenden Jahren in der rechtsstaatlichen Praxis zeigen. Und auch die Urheberrechtsdebatte ist zurück, wer hatte sie nicht vermisst?
Viele theoretische Debatten – wie jene um Deepfakes – werden auf einmal praktisch. Wir warten immer noch darauf, dass die Vermittlung von Digitalkompetenzen, erweitert um dringend notwendige KI-Kompetenzen, irgendwie vom Himmel fallen wird. Gleichzeitig gibt es auf einmal so viele neue interessante Werkzeuge zum Rumspielen und Ausprobieren, wie seit langem nicht mehr. Wir leben in interessanten Zeiten.
Kaputte Ampel
Es ist müßig, über die Performance der Ampel-Koalition zu schreiben. Die Enttäuschung ist groß, das Chaos ist fast noch größer als bei früheren Regierungen und die meisten Versprechungen werden nicht erfüllt oder erweisen sich als Papiertiger. Statt kooperativen Regierens bekommen wir vor allem nur Stellungskämpfe unterschiedlicher Ministerien zu sehen.
Open Source soll endlich mal stärker gefördert werden, aber die Realität von „Public Money public Code“ sieht dann so aus, dass Public Money immer noch weitgehend für proprietäre Software ausgegeben wird und Public Code die seltene Kür ist. Aber wenigstens muss man Open Source immer weniger erklären, man müsste es nur eben mal endlich machen.
Der Glasfaserausbau geht voran, aber im europäischen Vergleich liegen wir immer noch weit hinten. Bei mir zuhause gibt es absehbar weiterhin nur Kupferkabel. Da kann man gleich 5G als Alternative nehmen, das verspricht laut Werbung viel mehr Bandbreite. In meinem Fall kommen über meine 100-MB-DSL-Leitung aber mehr Daten rein, weil viele Nachbarn offensichtlich dieselbe Idee hatten.
Wie gut es um den Breitbandausbau steht, können Berliner:innen immer bei der Fahrt aus der Stadt heraus beobachten. An der Grenze zum Speckgürtel gibt es kein Netz und teilweise kann man nicht einmal telefonieren. 2023 ist das immer noch eine sportliche Leistung der Devise „Der Markt wird das regeln“.
Der durchkommerzialisierte E-Sport soll gemeinnützig werden, der gemeinwohlorientierte Journalismus wurde leider vergessen, obwohl die Gemeinnützigkeit im Koalitionsvertrag mehr oder weniger versprochen wurde. Ein beliebtes Argument der Gegner:innen aus der Verlagswelt ist, dass Nazis und Denkverwandte damit auch gemeinnützige Medien aufbauen könnten.
Die Realität zeigt, dass die das auch mit den Geldern von Milliardären kapitalistisch hinbekommen. Über den unabhängigen Medien hängt aber weiterhin das Damoklesschwert, dass ihnen ein Finanzamt aus heiterem Himmel den Gemeinnützigkeitsstatus entziehen könnte. Demnächst vielleicht auch durch AfD-geführte Landesfinanzministerien.
Eine stärkere Einbindung der digitalen Zivilgesellschaft lässt ebenfalls weiter auf sich warten. Es gab zwar zarte Versuche der Einbindung auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung. Aber das und viele andere Formate an anderen Orten waren meist kaum mehr als Beteiligungstheater.
Immerhin können sich Ministerien und Behörden auf die Fahnen schreiben, irgendwas mit Partizipation gemacht zu haben. Profitiert hat davon selten die Demokratie. Stattdessen sind meist die beauftragten Beratungsunternehmen die Nutznießer. Sie dürfen den jeweiligen Zirkus mit der Illusion des Zuhörens und Beteiligen dann teuer umsetzen und für die Schubladen dokumentieren. Schön, dass wir darüber geredet haben.
Aber es gibt auch Hoffnung.
In Zeiten von großer Nachrichtenmüdigkeit und wachsendem Misstrauen gegenüber Medien wächst die Reformbewegung um den konstruktiven Journalismus. Immer mehr erfolgreiche Experimente machen Hoffnung, hier neue Wege zu gehen zwischen konstruktiver Debatte, Lösungsorientierung und Perspektivenvielfalt.
Die Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen sind endlich über eine gemeinsame Suche vernetzt. Währenddessen dreht sich die Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems leider immer noch mehr ums Gestern als um das Morgen.
Organisationen wie die die Gesellschaft für Freiheitsrechte, FragdenStaat, HateAid und der Verbraucherzentrale Bundesverband zeigen regelmäßig, wie effektiv das Instrument der strategischen Prozessführung für den Schutz der Grund- und Verbraucher:innenrechte ist.
2024 wird ein heftiges Jahr, das unsere Demokratie nachhaltig verändern könnte. Eine Herausforderung wird sein, positive Erzählungen für eine bessere Zukunft zu finden, für die sich das Kämpfen lohnt. Bleibt gesund und vor allem motiviert, um weiterhin und noch viel mehr für Eure Rechte zu kämpfen. Denn eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich.
Etwas Aufbruch beim Digitalgipfel – aber eines bleibt beim Alten
Im vergangenen Jahr fand der erste Digitalgipfel der Ampel-Koalition statt und geriet zum Debakel. Die Koalition war angetreten, um vieles anders zu machen. Unter anderem wollte sie die digitale Zivilgesellschaft mehr einzubinden. Der Digitalgipfel wurde zum Lackmusttest.
Doch im letzten Jahr gab es kaum Vertreter:innen der digitalen Zivilgesellschaft auf den Panels. Die Minister:innen diskutierten stattdessen weiterhin nur mit geförderten Wissenschaftler:innen und Industrievertreter:innen – und das meist vor leeren Stuhlreihen. Schnell war klar, dass es nicht so weitergehen konnte, wie in den 16 Jahren zuvor unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Diese Kritik wurde jetzt erhört und das muss man auch anerkennen. Das in diesem Jahr federführende Wirtschaftsministerium nahm Kontakt zur digitalen Zivilgesellschaft auf und zeigte sich zumindest bemüht, diese in diesem Jahr stärker einzubeziehen.
Es droht ein Beteiligungstheater
In den kommenden zwei Tagen gibt es es jetzt so viele WorldCafes und Fishbowl-Formate, dass man schon fast ein Beteiligungstheater befürchten muss, bei dem es nicht so sehr um Dialog im Sinne des Zuhörens und Verstehens geht, sondern um eine Kommunikationsmaßnahme. Dennoch: Es sind zum ersten Mal zivilgesellschaftliche Vertreter:innen auf den meisten Panels dabei – auch wenn man aus der Zivilgesellschaft hört, dass der Ablauf dieser Veranstaltungen von Seiten der Ministerien minutiös durchgeplant wird.
Ein aufmerksamer Blick ins Programm zeigt dann aber, dass eines wie immer abläuft. Es gibt eine komplexe Struktur im Hintergrund dieses Gipfels, die aus acht „Plattformen“ besteht. Hier vernetzen sich Vertreter:innen der beteiligten Ministerien fast ausschließlich mit Industrielobbyist:innen und planen gemeinsam die zentralen Debatten und Themen des Gipfels.
Aus der Zivilgesellschaft kann es sich nur Wikimedia Deutschland leisten, Vertreter:innen auf eine „Plattform“ zu schicken. Wikimedia evaluiert diese Aktivität derzeit aber, weil unklar ist, ob sich der Zeiteinsatz überhaupt lohnt. Für Unternehmen und ihrer Lobbyverbände ist das hingegen praktische politische Landschaftspflege. Sie haben dafür teilweise sogar Stellen geschaffen, weil sie so leichten Zugang zu Ministeriumsvertreter:innen bekommen.
Eines wird sich wahrscheinlich nie ändern
Diese „Plattformen“ sollen mitentscheiden dürfen, wer auf dem Gipfel zu welchen Themen auf welchen Podien sitzt. Wie das genau abläuft, ist nicht einsehbar. Ebenso intransparent ist auch das Mittagessen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Leitern der „Plattformen“ am zweiten Tag des Digitalgipfels hinter verschlossenen Türen. Die Zivilgesellschaft ist nicht dabei. Sie fehlt auch auf dem Abschlusspanel, wo Olaf Scholz wieder nur mit Industrievertreter:innen spricht. Da bleibt das Kanzleramt in der Tradition von 16 Jahren Merkel.
Es ist ein zarter Aufbruch einer Bundesregierung in ihre zweite Legislaturhälfte, die bisher in digitalpolitischen Fragen nur weitgehend enttäuscht hat. Aber es sollte auch klar sein: Wir brauchen nicht nur einen symbolischen Digitalgipfel einmal im Jahr, sondern müssen kontinuierlich über die Gestaltung der digitalen Welt diskutieren und sie verhandeln – und das nicht nur hinter verschlossenen Türen mit Industrievertreter:innen, sondern mit der ganzen Gesellschaft.
Denn: Eine bessere digitale Welt ist möglich.
Reform des rbb-Staatsvertrags zementiert die alte Medienwelt
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) leidet noch immer unter den Folgen der Ära Schlesinger. Verbunden damit sind steigende Kosten und gescheiterte Strategien. Die Bundesländer Berlin und Brandenburg wollen dies jetzt ändern und planen die Novellierung des rbb-Staatsvertrags, weitgehend unter dem Radar einer interessierten Öffentlichkeit. Hier kann man aber gerade sehen, dass eine fehlende Debatte nicht unbedingt hilfreich ist. Zumindest, wenn man ein Interesse an einer funktionierenden Öffentlichkeit in Form eines zukunftsgewandten öffentlichen Rundfunks hat.
Chance verpasst
Vor zwei Wochen hatte Laura-Kristine Krause in der Kolumne „Neues aus dem Fernsehrat“ bereits beschrieben, dass nur drei der zwölf Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Digitalperspektive in ihren Reihen haben.
Angesichts der Bedeutung der laufenden digitalen Transformation im Öffentlich-Rechtlichen überrascht es, dass bei dieser Novellierung die Chance verpasst wird, für eine solche Perspektive eine Vertretung neu zu formulieren. Stattdessen sitzen auch weiterhin im Rundfunkrat des rbb Vertreter:innen von Beamten, Gewerkschaften, mehrerer Religionen und der brandenburgischen Bauern. Mehr 90er geht nicht.
Dabei sollen diese Gremien noch mehr Macht bekommen und noch mehr Personalentscheidungen mittreffen. Zukünftig sollen auch die Leitungen der Landesangebote durch den Rundfunkrat bestimmt werden, was die Mitarbeitenden im rbb in einem offenen Brief zu Recht als Eingriff in die Programmautonomie bezeichnen. In heutigen Zeiten muss man ja auch mitbedenken, dass demnächst die AfD in Brandenburg stärkste Kraft sein könnte und sich immer mehr in der Brandenburger Zivilgesellschaft ausbreitet und darüber mehr Möglichkeiten der Einflussnahme schaffen könnte.
Aber auch das ist noch nicht das Analogste an dieser Reform. Aus dem Vorschlag trieft nur so die lineare Medienwelt der Vergangenheit, die sogar noch ausgebaut und zementiert werden soll. Weiterhin müssen politisch vorgegeben und festgeschrieben sechs lineare Radiosender betrieben werden, die teilweise heute bereits nicht mehr richtig voneinander zu unterscheiden sind.
Das Fernsehprogramm soll mindestens 60 Minuten täglich auseinandergeschaltet werden, bisher sind es 30 Minuten für die regionalen Nachrichten „Brandenburg Aktuell“ und die „Abendschau“. Außerdem soll ein neues Regionalbüro eingerichtet werden. Das klingt möglicherweise erst mal gut, kostet aber einige Millionen und bedeutet im Umkehrschluss, dass woanders für die neuen Aufgaben gespart werden muss – oder der Rundfunkbeitrag steigt.
Was dann wiederum zur Situation führen würde, dass ein steigender Rundfunkbeitrag das Image des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiter beschädigt, obwohl konkrete politische Entscheidungen für diese Erhöhung verantwortlich sind. Zumal die Werbezeiten im Radio auf Wunsch privater Radiobetreiber auf maximal 90 Minuten täglich begrenzt werden sollen, man also viel mehr Ausgaben und viel weniger Einnahmen haben wird.
Hier werden Gelder im linearen Rundfunk und Fernsehen gebunden, die dann bei der Digitalisierung fehlen dürften.
Zementierung des Analogen aus kurzfristiger Wahlkampftaktik
Da merkt man, dass der Wahlkampf in Brandenburg begonnen hat und Ministerpräsident Woidke sich eine Reform zusammenbastelt, die leider mehr wahltaktisch bedingt als zukunftsgewandt aussieht. Und auch nicht gerecht erscheint, wenn eine Reform vor allem auf die ältere Bevölkerung zielt, die auch möglicherweise kurz- und mittelfristig noch am linearen Programm hängt. Aber wer weiß wie lange: Auch diese Zielgruppen wird schnell digital und damit nicht-linear, wenn der Breitbandausbau auch sie erreicht.
Verweise auf eine Digitalisierung finden sich nur in Stilblüten wie „Berichterstattung und Informationssendungen haben, auch beim Einsatz virtueller Elemente, den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein.“ Was genau soll damit gemeint sein? Es ist selbstverständlich, dass alles, was der rbb macht, anerkannten journalistischen Grundsätzen entsprechen muss. Egal ob analog oder digital.
Es ist übrigens nicht alles schlecht. Zukünftig sollen Rundfunk- und Verwaltungsrat auch Fort- und Weiterbildungen ihrer Mitglieder gewährleisten, konkret werden „journalistische, technische, medienrechtliche und datenschutzrelevante Themen“ genannt. Außerdem sollen sie sich mit den Arbeits- und Sendeabläufen des rbb vertraut machen. Schön, dass man das Problem angeht, dass viele Gremienmitglieder nicht immer die beste Qualifikation für diese Rolle mitbringen.
Die Regierungen der beiden Bundesländer wollen die Novellierung des Staatsvertrages in einer gemeinsamen Kabinettssitzung am 7. November beschließen. Ich hätte ja gerne als zahlende Zielgruppe einen rbb, der für die digitale Welt aufgestellt wird.
Bleibt zu hoffen, dass die beiden Bundesländer sich noch mal besinnen und eine zukunftsfähige Reform vorlegen. Denn die Zeiten des linearen Rundfunks gehen schneller vorbei als man denkt. Aber die gesetzliche Aufgabe durch einen solch zementierten analogen rbb-Staatsvertrag bleibt dann bestehen. Das wäre ein Bärendienst für eine notwendige Reform des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks für die mediale Welt von morgen.
Threads ist die Hoffnung der Stunde – aber der falsche Weg
Es ist schon eine verrückte Zeit. Ausgerechnet Mark Zuckerberg gilt vielen momentan als Hoffnungsträger, um aus der Abhängigkeit von Elon Musk zu entkommen. Dieser hat Twitter im letzten Jahr und vor allem in den vergangenen Wochen so massiv verändert, dass der Wechselwille immer größer wird.
Am Wochenende wurde eine „temporäre“ Lesebeschränkung eingeführt, seit Sonntag ist das von vielen geliebte Tweetdeck als alternative Timeline-Ansicht kaputt, das mich auch das vergangene Jahrzehnt begleitet hat. Die Gelegenheit für Alternativen ist so günstig wie noch nie.
Die große Hoffnung auf eine Alternative
Teile von Twitter sind bereits vor einem Jahr ins Fediverse geflüchtet und bevölkern jetzt, mal mehr und mal weniger motiviert und erfreut, verschiedene Mastodon-Instanzen. Bei mir trifft das auf rund einem Viertel meiner Twitter-Timeline zu. Aber das sind leider bisher vor allem Subkulturen, nicht nur bei Breaking News Situationen in den vergangenen Monaten zeigte sich, dass das Fediverse zu Twitter noch keine Alternative darstellte.
Das ist von vielen auch nicht gewollt, ich bin da als Journalist wohl ein Sonderfall und nutze öffentliche Plattformen vor allem zur Recherche, Information und als Knotenpunkt – aber kaum zur interpersonellen Kommunikation. Das mache ich wiederum nur auf privaten Plattformen und nicht in der Öffentlichkeit.
Andere hoffen auf Alternativen wie das von Twitter-Mitgründer Jack Dohersy finanzierte Bluesky, wo aufgrund von einer Invite-Only Begrenzung aber vor allem eine San Francisco Tech-Crowd abhängt und eine kritische Masse fern ist.
Und die Plattform konnte noch nicht beweisen, dass sie bei größerer Nutzer:innenzahl auch skalierbares Community-Management mit all seiner Verantwortung machen kann, woran früher schon Facebook und Twitter teilweise grandios gescheitert sind.
Bald kommt Threads – vielleicht
Seit Monaten kündigt sich aber ein Klon aus dem Hause Meta an. „Threads“ erinnert namentlich an frühere erfolglose Experimente, soll aber jetzt auf Instagram aufsetzen und dasselbe nur mit Text sein. Das deuten Screenshots an. Meta nutzt wahrscheinlich Instagram, weil die Marke immer noch frischer wirkt als Facebook und vor allem nicht so toxisch ist.
Bei früheren Skandalen von Facebook, und da gibt es sehr viele, sind Massen immer zu Instagram rübergezogen – auch weil ein Teil der Nutzer:innen nicht verstand, dass beides zu einem Unternehmen gehört. Das wiederum von nur einer Person kontrolliert wird: Mark Zuckerberg.
Threads soll am morgigen Donnerstag erscheinen, aber erst mal nur in den USA. Das ist ein gängiger Weg der Produkteinführung, schon frühere Experimente wurden erst auf dem US-Markt getestet, bevor sie, wenn überhaupt, globaler ausgerollt wurden. Meta hat auch gestern erst vor dem Europäischen Gerichtshof eine wichtige Entscheidung verloren.
Und muss sich damit auseinandersetzen, dass man in der Europäischen Union nicht einfach so Daten über verschiedene Plattformen zum Zwecke der Profilbildung und personalisierter Werbung zusammenführen und dabei die Kund:innen intransparent über den Tisch ziehen darf.
Eine gute und wichtige Entscheidung. Ob und wann Threads daher bei uns verfügbar ist, wird sich noch zeigen. Aber Meta würde bei einer erfolgreichen Markteinführung mit Facebook, Instagram, Whatsapp und dann Threads noch mehr den globalen Markt für soziale Medien dominieren als bisher.
Marktvorteil für Meta
Meta hat hier einen großen Marktvorteil: Indem Threads auf Instagram aufsetzt, haben Nutzer:innen die Möglichkeit, ihren Sozialen Graphen mitzunehmen. Das heißt, sie können ihre bestehenden Instagram-Kontakte auch in ihr Threads-Profil übernehmen. Damit müssen bestehende Nutzer:innen nicht mehr aufwändig ihren sozialen Graphen wie überall anders neu aufbauen.
Dadurch hat man auch sofort zahlreiche Prominente dabei, die ebenfalls auf Twitter mit einer großen Followerschaft aktiv waren und ebenfalls die Schnauze voll von Elon Musk haben. Praktischerweise können die sofort auf ihre großen Instagram-Followerscharen aufsetzen.
Threads soll auch Schnittstellen ins Fediverse bieten. Wie das in der Praxis aussieht, und ob ehrenamtliche Adminstrator:innen von Mastodon-Instanzen darauf Lust haben und diese Schnittstellen nutzen, wird sich dann noch zeigen. Allerdings ist auch das ein geschickter Zug gegenüber Twitter, das sich immer mehr verschließt und abschottet.
Alles Pest und Cholera
Aus Datenschutzsicht sind Threads, Instagram und Twitter übrigens Pest und Cholera. Alle großen Plattformen arbeiten nach den Prinzipien des Überwachungskapitalismus und speichern soviele Daten wie möglich mit dem eigentlichen Ziel, mehr Aufmerksamkeit von uns zu binden, um noch mehr Datenpunkt ezu speichern um daraus Profile über uns zu bilden und uns personalisierte Werbung anzudrehen.
Threads würde da überhaupt nichts ändern. Aber das hat viele auch jetzt schon nicht daran gehindert, Twitter zu nutzen, mich inklusive. Ich nutze ja auch Instagram, wenn auch selten, denn die Plattformen bieten uns ja was.
Eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich
Meine Hoffnung liegt ja immer noch im dezentralen Fediverse, aber viele von uns haben andere Werte und bevorzugen zentrale Plattformen von Unternehmen, weil man da auch weiß, was man hat. Oder auch nicht, wie gerade Elon Musk mit Twitter zeigt und der Wechselwille immer größer wird.
Ob das Fediverse größer werden kann, wird sich noch zeigen müssen. Dort gibt es auch verschiedene Lager. Die einen wollen eine möglichst inklusive gemeinwohlorientierte Infrastrukutur für eine globale Öffentlichkeit schaffen. Andere wollen auch nur ihren eigenen Garten hegen und pflegen. Das ist vollkommen ok, gerade bei ehrenamtlicher Arbeit.
Aber leider steht das dem Ziel im Weg, eine globale Öffentlichkeit zu schaffen, wie sie Twitter mal war. Und die ich zumindest gerne hätte. Gemeinwohlorientiert und datenschutzfreundlicher als von Mark Zuckerberg betrieben und kontrolliert.
Wir brauchen überwachungsfreie Bezahlalternativen
Im vergangenen Sommer war ich in London. Am Flughafen angekommen, hob ich erst einmal 100 Pfund ab. Ab diesem Zeitpunkt stand ich vor dem Problem, dass die niemand haben wollte. Seit meinem letzten London-Trip, der länger zurücklag, hatte die Stadt auf bargeldloses Bezahlen umgestellt. Irgendwie wurde ich das Geld noch los. Aber dafür musste ich ständig notlügen, dass die Kreditkarte auf meinem Smartphone sei, dessen Akku aber gerade leer sei.
In Deutschland wiederum ist es für Fans des bargeldlosen Bezahlens oft schwierig, die Kreditkarte zu nutzen. Viele Restaurants und Geschäfte wollen lieber Bargeld – etwa weil sie ihre geringe Marge nicht auch noch mit den Kreditkartenunternehmen teilen wollen oder weil das Finanzamt dann nicht so genau hinschauen kann.
Dabei verspricht das Narrativ hinter dem digitalen Bezahlen vor allem eines: Bequemlichkeit. Immer Geld in der Tasche, kein lästiges Wechselgeld mehr, alles ist hygienischer und teilweise muss man sogar erst in der Zukunft bezahlen.
Allerdings gibt es ein kleines Problem: Wir machen uns dabei von den Unternehmen abhängig, über deren Infrastrukturen die Bezahlvorgänge ablaufen. Waren es früher nur die EC- und Kreditkarten der Banken, sind inzwischen PayPal, Google und Apple als Anbieter hinzugekommen. Andere Startups drängen ebenfalls auf diesen Markt. Aber letztendlich läuft es darauf hinaus, dass Apple und Google irgendwann die großen verbleibenden Gatekeeper sind. Wozu brauche ich noch eine Kreditkarte, wenn ich die eh in mein Smartphone integriere und meine Smartwatch an ein Terminal halten kann?
Alles glitzert so schön – und überdeckt die vielen Tracker im Hintergrund
Die Welt des Überwachungskapitalismus glitzert so schön und alles klingt verheißungsvoll nach Zukunft. Aber wo genau liegt der Mehrwert gegenüber dem Bargeld-Status-quo, wenn beim Einkaufen möglichst viele Unternehmen davon erfahren, was ich wo kaufe? Diese Unternehmen verarbeiten die Daten ohne meine bewusste Einwilligung. Dabei rastern sie mich ständig mit dem Ziel, mir Werbung anzuzeigen oder mir noch mehr Produkte verkaufen zu können.
Was also bleibt außer der Bequemlichkeit – zumal die rasch endet, wenn das Terminal auf Verkäuferseite mal wieder keinen Strom hat, Updates fährt oder das WLAN ausgefallen ist?
Anhänger:innen von Kryptowährungen glauben, dass Bitcoin, Ether oder was sonst gerade „der heiße Scheiß“ sein soll, die Lösung schlechthin versprechen. Ich bin von Kryptowährungen wenig überzeugt. Die gewaltigen Probleme und Herausforderungen, die diese mit sich bringen, sind hinlänglich bekannt. Ich bin auch entspannter, wenn ich morgens weiß, dass ein Euro eben ein Euro wert sind und der Währungskurs über Nacht nicht mal wieder um ein Drittel eingebrochen ist.
Und ich möchte weiterhin auch mit Bargeld bezahlen können. Manchmal möchte ich einfach nicht, dass meine Einkäufe gegen mich verwertet werden können. Wird meine Krankenversicherung irgendwann den Kauf eines Schokoriegels als Gesundheitsrisiko verbuchen? Wir wissen es nicht. Aber ausschließen lässt sich das leider nicht.
Wir brauchen überwachungsfreie Bezahlalternativen
Zugleich möchte ich aber auch die Wahlfreiheit haben, dort digital zu bezahlen, wo es für mich bequemer ist. Ich hab mir beispielsweise angewöhnt, ÖPNV-Tickets digital zu kaufen. Meist habe ich gerade nicht die passenden Münzen zur Hand und es muss schnell gehen. Dann springe ich in die U-Bahn, während ich mir gleichzeitig das Ticket erklicke.
Wieso aber gibt es häufig nur die Möglichkeit, beim städtischen Verkehrsunternehmen, das uns allen gehört, mit privaten Bezahldienstleistern zu bezahlen? Wo ist die überwachungskapitalistische Alternative – ohne Tracking, pseudonym oder gar anonym?
Der digitale Euro könnte so etwas werden. Eine Alternative zwischen der bunten Glitzerwelt der Fintechs, Banken und Tech-Konzerne auf der einen Seite und fiebrigen Kryptowährungsträumen auf der anderen. Das Vorhaben der EU-Kommission begreift digitales Geld im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Infrastruktur, ganz so wie es der Medienforscher Sebastian Gießmann mir im Netzpolitik-Podcast beschrieben hat. Zumindest dann, wenn diese aufzubauende Infrastruktur nicht dazu missbraucht wird, die Überwachung weiter auszubauen.
Fest steht: Am Ende brauchen wir Lösungen, die Vertrauen schaffen, die niemanden ausschließen und die uns unabhängig von Konzernen machen. Die Zeit ist reif, und die Debatte läuft. Wir müssen jetzt unsere Wünsche artikulieren. Ein besseres digitales Bezahlsystem ist notwendig und möglich.
Privilegien kann man jetzt bei Twitter kaufen
Vor etwa elf Jahren schickte mir Twitter einmal eine Direktnachricht: „Wir bei Twitter würden gerne Deinen Account verifizieren. Klicke einfach auf den Link und folge der Anleitung.“ Damals war ich dort bereits einige Jahre auf Twitter aktiv und der Dienst hatte einige Zeit zuvor ein Verifikationssystem ausgerollt. Nutzer:innen konnten damit ihre Accounts verifizieren – anfangs durch das Unternehmen kuratiert, später waren auch Anträge möglich. Sie erhielten dann den blauen Haken.
Ich galt aus Sicht Twitters als öffentliche Person und betrieb mit @netzpolitik einen der bekannteren Account im deutschsprachigen Twitter. Ich klickte mich durch die Anleitung und kurze Zeit darauf zierte ein blauer Haken mein Profil. Nach welchen Kriterien das Unternehmen damals die Entscheidung traf, war mir unklar. Ich musste nicht einmal meinen Personalausweis hochladen.
Was der Haken genau bedeutete, war mir damals auch noch nicht klar. Ich sah es als eine Art Qualitätsmerkmal, das Twitter vergab. Der Haken wertschätzte dadurch aber auch viele Nutzer:innen, die zur Wertschöpfung der Plattform und dessen Ökosystem beitrugen.
Seitdem lebte ich mit dem blauen Haken, den auch immer mehr Nutzer:innen erhielten. Dazu gehörten vor allem Journalist:innen, Personen des öffentlichen Lebens und gewählte Abgeordnete, die auf der Plattform aktiv waren.
In der eigenen Twitter-Nutzung bemerkte ich nur einen Unterschied: Ich wunderte mich, wie das Geschäftsmodell von Twitter in der Realität funktionierte, weil ich selten Werbung sah. Irgendwann realisierte ich, dass ich durch den blauen Haken offensichtlich bei Laune gehalten wurde und hier eine Sonderrolle genoss.
Die anderen Privilegien bekam ich weniger mit. Ich war verifiziert und das zeigte Nutzer:innen an, dass hinter meinem Account auch tatsächlich meine Person stand. Und der blaue Haken hatte Auswirkungen darauf, wie mein Account für andere sichtbar war. Meine Inhalte wurden bei den algorithmischen Entscheidungssystemen bevorzugt behandelt, wenn Nutzer:innen eine algorithmisch-kuratierte Timeline wählten, die sogenannte „For you“-Ansicht.
Die zwei Nutzungsarten bei Twitter
Es gab und gibt bei Twitter vor allem zwei unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten. Ich selbst bin im „Team Chronologisch“. Ich mag es, die Kontrolle darüber zu haben, was mir angezeigt wird. Bei anderen sozialen Netzwerken fühlte ich mich irgendwann früher oder später unwohl, wenn mir Inhalte bunt und intransparent zusammengewürfelt eingeblendet wurden und ich keinerlei Kontrolle über deren Zusammenstellung hatte. Was interessieren mich die Postings von Bekannten von vor einer Woche?
Aber Nutzer:innenforschung hat inzwischen ergeben, dass ich einer Minderheit angehöre. Viele Menschen ziehen eine vorsortierte Timeline vor, weil sie so ein besseres Nutzungserlebnis erführen. Das „Team Algorithmische Timeline“ ist von der chronologischen Timeline überfordert. Es möchte gerne vorsortiert etwas erleben. Immerhin haben alle bei Twitter – zumindest noch – die Freiheit, zwischen beiden Ansichten zu wählen.
Ob das so bleibt, ist derzeit völlig offen. Vor fünf Monaten hat Elon Musk die Macht bei Twitter übernommen. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht zu Veränderungen kommt. Das allein reicht offenbar aus, um einen fast täglich erscheinenden Podcast zu füllen, wie Dennis Horn und Gavin Karlmeier mit „Haken dran – das Twitter-Update“ beweisen.
Mein Nutzererlebnis blieb seitdem erstaunlicherweise gleich. Nur eine Sache hat sich nachhaltig geändert: Ich sehe Werbung und zwar eine ganze Menge. Das ist umso erstaunlicher, als dass Twitter die meisten seiner Werbekunden in den vergangenen Monaten verloren hat.
Privilegien kann man jetzt kaufen
Eine der größten Veränderungen steht aber aktuell an: Das eingespielte Verifikationssystem wird abgeschafft, um das neue Bezahlsystem Twitter Blue zu promoten. Twitter Blue hatte Elon Musk als Produktneuerung eingeführt, nachdem er die meisten Werbekunden durch sein Geschäftsgebaren und seinen Kommunikationsstil verscheucht hatte. Für acht Euro – Apple-Nutzer:innen zahlen 30 Prozent mehr – kann nun jede:r einen blauen Haken erhalten. Und erhält damit weniger Werbung im eigenen Feed und eine bevorzugte Ausspielung auf der algorithmischen Timeline bei Anderen. Twitter-Nutzer:innen können sich also jetzt ein Privileg kaufen.
Das funktionierte bisher nicht so toll als Geschäftsmodell. Denn es gab bislang nicht allzu viele Menschen, deren Ego einen gekauften blauen Haken benötigt. Wer möchte schon Elon Musk finanziell unterstützen, nachdem er durch schlechte Geschäftsentscheidungen und sein verschwörungsideologisches und aggressives Kommunikationsverhalten die eine Lieblingsplattform kaputt macht? Wir helfen doch bereits mit unseren Inhalten und Daten. Noch. Und überhaupt: weniger Werbung? Wenn dann würde ich dafür bezahlen, gar keine Werbung mehr sehen zu müssen.
Nach dem blauen Haken ist vor dem blauen Haken
Um Twitter Blue weiter zu promoten, sollen jetzt alle bisherigen Haken-Nutzer:innen diesen verlieren. Das aktuelle „Dieser Account wurde im alten System verifiziert. Er ist möglicherweise (aber nicht unbedingt) beachtenswert“ soll bis zum 15. April abgeschaltet werden. Ich verliere dann meine Privilegien und kann sie mir zurückkaufen. Zumindest zum Teil und als Verifikationssimulation. Willkommen im Kapitalismus.
Ich lass mich überraschen, wie Twitter in zwei Wochen aussieht. Vielleicht ändert sich ja weiterhin nichts in meiner Nutzung, weil Twitter Blue eher geringe Auswirkungen auf meine chronologische Nutzung hat. Außer eben der vielen Werbung neuerdings.
Vor allem aber hoffe ich noch immer auf eine richtige Alternative zu Twitter. Dort hätte ich gerne Text in Echtzeit, chronologisch sortiert. Das Fediverse mit Mastodon und Co. sind als mögliche Alternativen herangewachsen – und besser als gedacht. Ein Viertel meiner Twitter-Timeline ist auch bereits drüben. Aber dreiviertel von ihnen sind es offensichtlich noch nicht. Dafür experimentieren WordPress und Meta aktuell mit Schnittstellen ins Fediverse, viele Werkzeuge werden nutzer:innenfreundlicher. Das macht Hoffnung auf eine blühende Zukunft ohne Elon Musk – und hoffentlich dann auch gänzlich ohne blauen Haken und Privilegien.
Bildung, wir haben ein Problem
Früher oder später mussten wir an jenen evolutionären Zeitpunkt der Technikgeschichte gelangen, an dem Systeme der „Künstlichen Intelligenz“ greifbarer werden. Dass wir spätestens jetzt diesen Zeitpunkt erreicht haben, bemerken derzeit vor allem jene Menschen, die ChatGPT oder einen Bilder-Generator wie Dall-E oder StableDiffusion nutzen. Oder die davon lesen oder hören.
Der Buzz um ChatGPT ist dabei zunächst einmal eines: eine gute Verkaufsshow. Microsoft investiert Milliarden, um die Technologie im Wettbewerb der großen Tech-Konzerne an sich zu binden. Demnächst könnte es also eine bessere Bing-Suchmaschine geben. Und vielleicht hofft bereits der eine oder andere, dass Outlook schon bald eigenständig E-Mails vorformuliert und verschickt. Das wäre dann auch der Moment, in dem ich erstmals auf Outlook-Nutzer:innen neidisch wäre.
Bei alledem darf man nicht vergessen, dass wir es bei ChatGPT mit einem proprietären System zu tun haben. Und hinter diesem stehen mächtige Konzerninteressen, die unsere Daten kommerziell verwerten wollen. Und die das Ziel haben, immer mächtiger zu werden. Gemeinwohlorientierte Alternativen, die offen und datenschutzfreundlich betrieben werden, sind daher umso wichtiger und sollten mehr gefördert werden.
Natürlich birgt ChatGPT – wie alle anderen Technologien – etliche Risiken. So fantasiert die KI mitunter vermeintliche Fakten herbei. Das tun allerdings auch zahlreiche Menschen im Netz. Man denke etwa an die vielen Verschwörungsgläubigen, die so etwas ohne Hilfe von Technologie prima hinbekommen. Und meistens sind sie dabei sogar noch kreativer als jede aktuelle KI.
Bildung, wir haben ein Problem!
Große Aufregung erzeugen die neuen KI-Anwendungen im Bildungssektor. Auch mir schoss der Gedanke durch den Kopf, noch rasch ein Studium zu absolvieren. Dank ChatGPT ist dies nun wohl einfacher denn je zuvor. Jedenfalls solange sich nichts ändert.
Und in der Tat zeigen sich Professor:innen verschiedener Fachrichtungen überaus besorgt, dass sie die Werke von ChatGPT nicht länger von jenen unterscheiden können, die ihre Studierenden aus eigener Leistung erstellen. Und auch Lehrende an den Schulen verzweifeln bereits daran, dass die neuen KI-Anwendungen die Schüler:innen vermeintlich noch fauler werden lässt. Sie müssten ihre Hausaufgaben – so die wachsende Sorge – künftig nicht einmal mehr von der Wikipedia abschreiben. Und das ließ sich bislang noch relativ leicht herausfinden. Sofern man es denn überhaupt herausfinden wollte.
Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit in der Mittelstufe. Damals konnte ich den Erdkunde-Lehrer stets mit meinen Präsentationen beeindrucken, die ich daheim angeblich mühsam in Handarbeit erstellt hatte. Tatsächlich hatte ich sie nur mit Hilfe eines Computerprogramms namens „PC Globe“ ausgedruckt. Die meisten meiner Lehrer:innen besaßen damals noch keinen Computer. So neu und unbekannt sind die Folgen durch ChatGPT also gar nicht.
Trotzdem sperren erste Schulen auf ihren Rechnern den Zugang zu ChatGPT. Das ist allerdings kaum mehr als eine hilflose Geste. Denn Schüler:innen besitzen in der Regel ein eigenes Smartphone. Die Sperrung dürfte sie daher eher noch motivieren, die KI auszutesten. Eine bessere Werbebotschaft für ChatGPT können Schulen daher wohl kaum senden. Andere Lehrerende finden die Herausforderung hingegen hochspannend, wie etwa Bob Blume, der als @Netzlehrer bereits das Ende des Lernens, wie wir es kennen, verkündet.
Wir brauchen KI-Kompetenzen
Tatsächlich stehen unsere Bildungsinstitutionen vor einer gewaltigen Herausforderung. Denn während Digitalkompetenzen an unseren Schulen noch immer vergleichsweise rar sind, wartet mit ChatGPT bereits die nächste Herausforderung vor dem Schul- oder Uni-Tor. Nun wird es unter anderem darum gehen, seit Jahren bewährte Aufgabenstellungen so abzuändern, dass sich diese nicht innerhalb weniger Sekunden mit Hilfe eines Text-Generators beantworten lassen. Allerdings dürfte einige Zeit verstreichen, bevor diese Wende vollzogen ist. Man darf gespannt sein, ob heutige Grundschüler:innen dies im Laufe ihrer Schullaufbahn noch erleben werden.
Eigentlich müssten wir die Curricula so rasch wie möglich reformieren, damit die Schule ebenjene Fähigkeiten vermittelt, die junge Menschen so dringend benötigen. Dazu zählen ein noch intensiveres Hinterfragen vermeintlicher Gewissheiten als bisher, eine noch sorgfältigere Quellenarbeit sowie die Fähigkeit, die Ausgaben einer Text-KI kritisch zu prüfen und einordnen zu können. Lehrende wie Schüler:innen kommen dabei nicht umhin, sich auch mit den Grundlagen und Untiefen maschinellen Lernens vertraut zu machen. Und das ist längst nicht alles, wie die Initiative Critical AI anschaulich auflistet. Aber wer trainiert die Lehrer:innen und wollen die das überhaupt lernen?
Auf dem Weg in die redaktionelle Gesellschaft
Der übergroße Teil der Bevölkerung, der seine Schulbildung bereits abgeschlossen hat, steht vor einer ähnlich großen Herausforderung. Denn wir alle werden Teil einer redaktionellen Gesellschaft werden müssen. Dafür müssen wir alle uns mehr und mehr journalistische Fähigkeiten der Text- und Quellenkritik aneignen. Und wir alle müssen lernen, vieles zu hinterfragen – ohne dabei ins Kaninchenloch abzurutschen.
Das bedeutet auch eine kulturelle Wende. Bislang galt Vermittlung von Digitalkompetenzen vielen weniger als Muss, sondern vielmehr als ein Nice to have. So wichtig und richtig viele das Thema zwar finden, ist es letztlich eine Frage der Eigeninitiative – also von Zeit, Motivation und Kompetenz –, sich umfassende Fähigkeiten im digitalen Bereich anzueignen. Man muss sich dieses leisten können und wollen.
Auch das muss sich spätestens jetzt ändern. So sollte der Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Systems künftig darin bestehen, im Sinne der redaktionellen Gesellschaft ebenfalls mehr Digitalkompetenzen zu vermitteln. Ich gehöre einer Generation an, die ihre Verkehrserziehung in Teilen über die Fernsehsendung „Der 7. Sinn“ erhielt. Warum werden die Kanäle des linearen Fernsehens heute nicht dazu genutzt, um uns alle – gerade aber auch die älteren Generationen – mit Blick auf ChatGPT und Folgen solcher KI-Werkzeuge weiterzubilden? Und natürlich dazu, auch die vielen anderen notwendigen Digitalkompetenzen zu vermitteln?
Die kommenden Jahre werden wir bei Text- und Bild-Generatoren ein ähnliches Katz-und-Maus-Spiel erleben, wie wir es bereits längerem rund um das Thema Deep Fakes beobachten: Die Technik wird weiterentwickelt, damit ausgefeilter und schwerer zu durchschauen. Im Gegenzug werden neue Möglichkeiten entstehen, mit KI generierte Daten aufzuspüren und entsprechend zu markieren – zumindest so lange, bis die KI-Werkzeuge einen weiteren Entwicklungssprung machen.
Die Technik, die ChatGPT ermöglicht, ist gekommen, um zu bleiben. Und die mächtigen Werkzeuge werden noch besser werden. Und in den falschen Händen können sie erheblichen Schaden anrichten. Auch deshalb müssen wir lernen, mit dieser neuen Technologie umzugehen – indem wir uns alle weiterbilden.